Grossflächige, natürliche Raumgliederungen, abstrakt-geometrische Arealzuschnitte, Funktionsfelder und Flächenzuordnungen haben geographische, funktionale, besitzrechtliche, historische und gestalterische Ursachen, die eine Wirksamkeit und Folgen haben für die visuellen, geometrisch-planerischen Zuschnitte der gebauten Räume und deren Wahrnehmung. Manchmal ohne materielle Ausformungen sind sie trotzdem (virtuell) vorhanden und als struktur- und formbildend wahrnehmbar. Sie gliedern die Landschafts- und Bebauungsflächen, trennen oder schaffen räumliche Bezüge und erlauben das Ablesen von strukturierenden Orientierungszeichen, Raumbegrenzungen, Ausrichtungen und Verbindungslinien. Ordnungsfaktoren sind oft grossflächig raumstiftend und regeln ggf. die zukünftigen, weiteren Entwicklungsmöglichkeiten eines Gebiets.
Oft zeigen sich geometrische Ordnungsfaktoren auch in der gebauten Architektur, wenn Stadt-Bebauungsformen und Gebäudekonzepte auf geographische und parzellengliedernde Ausrichtungen gestalterisch reagieren bzw. diese in den Entwurf aufnehmen; siehe beispielsweise die folgenden Abbildungen mit dem FHL-Präsidiumsgebäude (gelb eingekreist) am Mönkhofer Weg in Lübeck. Es nimmt die (rechtwinklige) Geometrie der Bebauung entlang des Mönkhofer Weges (blaue Linien) ebenso auf wie die des Klink- und Universitätsgebiets (rote Linien) und erhält so (u.a.) seine Bauform29. Die beiden unterschiedlichen Achsen-Ausrichtungen gehen bei der nächsthöheren Masstabsebene auf zwei historische Wege-/ Strassen-Trassen zurück. Die eine führt regional nach Süden (Ratzeburg usw.), die andere verläuft lokal zu einer nahen Gutshofanlage (Mönkhof).
Auch umgekehrt ist ein ordnendes Einwirken ‒ vom Bauwerk ausgehend ‒ feststellbar, z.B. Schlossachsen wie in Versailles / Frankreich oder in Karlsruhe / Deutschland, wo die Bauwerksachsen die angrenzende Stadt und Umgebung ebenfalls gliedern und einander zuordnen. Der Architekt Daniel Libeskind liess sich bei einigen Projekten anregen von geschichtlichen, stadträumlichen Ereignissen, deren „Richtungsspuren“ seine Gebäudekonzeptionen (mit)bestimmen (z.B. „Militärhistorisches Museum der Bundeswehr“ in Dresden30 / Deutschland); die bauliche Ausrichtung der christlichen Kirchenapsiden nach Osten ist ein weiteres „mentales Orientierungsprinzip“, das sich auf die Stadträume rund um die Kirchengebäude auswirkt31. Solch Ordnungsfaktoren erzeugen mentale und sichtbare Verbindungen, Hervorhebungen, Einheitlichkeit, Richtungswechsel und Fixpunkte. Sie geben damit vorbestimmte Anbau- und Planungsmuster vor und regen stadträumlich geregelte Flächengliederungen an, wie auch Spuren der Erinnerung.
Manche Ordnungselemente erschliessen sich als zusammengehörig und schlüssig allerdings erst durch Luftbilder, Kartendarstellungen, durch andere übersichtsschaffende Medien und durch erklärende Informationen, was jedoch für den eigentlichen Nutzer „auf Erden“ nicht immer direkt nachvollziehbar ist (aber auch nicht immer sein muss…). Mit solchermassen angereicherten Kenntnissen jedoch – auch beispielsweise dem Smartphone entnommen als ein Beitrag mit anderen Perspektiv-Möglichkeiten – vermischt sich das kognitive Wissen mit der direkten Wahrnehmung und lässt „praktisches“ Orientierungswissen entstehen. Mit der auf diese Weise erweiterten, sogenannten persönlichen „mental map“32 – der persönlichen Gedächtnis(land)karte – nutzt jeder solch angesammeltes Orientierungs- und Erklärungswissen im Alltag.
Die Unterstützung räumlicher Ablesbarkeit ist nur ein Aspekt, der bei den Ordnungsfaktoren wissenswert ist. Für Architekten und Stadtplaner sind sie zudem wichtige Bestandteile bei der Analyse von städtebaulichen Entwicklungs-, Erklärungs- und Plausibilitätsmodellen, um die Gliederung, den Aufbau und „das Bild der Stadt“ besser zu verstehen. Dies Verständnis ist grundlegend für (funktionale wie räumliche) städtebauliche Problemanalysen und der darauf aufbauenden Planungsstrategien und -ziele für die angestrebten Verbesserungen und Veränderungen.
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29: Das kann sogar auf der Detailebene im Eingangsfoyer des Präsidiumsgebäudes nachvollzogen werden, wo die sichtbare Stahlkonstruktion beide Hauptrichtungen „en détail verarbeitet“. ‒ Diese Beschreibung befasst sich ausschliesslich mit den städtebaulichen Bezügen der hochbaulichen Architekturkonzeption des Gebäudes (Architekten: Staatliches Hochbauamt Schleswig-Holstein).
30: Dort ist der in den Altbau eingesetzte Neubauteil axial ausgerichtet auf die Richtung der Einflugschneise der Flugzeuge bei der Bombardierung der Dresdner Innenstadt im 2. Weltkrieg.
31: siehe auch bei der Lübecker Stadtsilhouette (unter 3.4.2.1.3.) die dieselbe Ausrichtung aller Kirchturm-Fassaden nach Westen.
32: siehe u.a. Lynch, Kevin A.: Das Bild der Stadt; Bauweltfundamente Bd. 16; Gütersloh / Berlin / München 1968; insbesonders Anhang A