Der Zeitrahmen einer Untersuchung bestimmt über den leistbaren Arbeitsumfang, die Inhalte und die Intensität der Auseinandersetzung mit dem zu untersuchenden Ort. Es gibt Langzeituntersuchungen im wissenschaftlichen Bereich und teilweise auch in der Stadtplanung; Kurzstudien, wenn kurzfristig ein Problem zu lösen ist oder als ersten Explorationsschritt, um eine umfangreiche Fragestellung erst einmal kennenzulernen und thematisch aufzuschliessen. Je kürzer und kleiner der Bearbeitungszeitraum ist, umso mehr gezielt und strategisch müssen die Analyseschritte vorweg bedacht und organisiert werden, um die wesentlichen Themen vorab herauszufiltern. Im Vorfeld ist abzuschätzen, was als Mindestumfang unabdingbar und leistbar ist. Soll oder muss mehr entfallen als inhaltlich verantwortbar ist, empfiehlt es sich, die offen-gebliebenen Fragestellungen (an den Ort und beim Planungsrahmen) aufzulisten, und dies als einschränkende Randbedingung des erarbeiteten Analyseergebnisses mit zu benennen.
Die Zeit selbst – der Zeitverlauf – kann als Entwurfsinhalt und Planungsgegenstand eingesetzt werden, um damit die zukünftigen Prozesse und Abläufe innerhalb einer angezielten Entwicklung oder Strategie vorzubestimmen und diese auf diese Weise zu steuern. „Steter Tropfen höhlt den Stein“ ist zwar eine Redewendung mit einer nur verborgenen Zeitangabe, gibt aber – neben dem genannten materiellen, bildhaften Effekt – mit an, dass ein Geschehen (langfristig) abläuft und welche unerwartete, gravierende Konsequenz trotz kleinstem Eingriff etwas haben kann. Städtebauliche Entwicklungsprozesse sind oft langwierig und schwierig zu beobachten und feststellbar; gleichwohl ist es wichtig, ihnen auf die Spur zu kommen und von ihnen zu wissen. Ob ein Ort stagniert, schrumpft oder nach einer langen Phase des „Niedergangs“ allmählich auf eine erfolgreiche Zukunft hinsteuert, ist möglicherweise wesentlich für die Einschätzung seiner Potenziale und von anstehenden Planungen. Man betrachte nur die Entwicklung und kritischen Image-Einschätzungen vom Berlin der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts im Gegensatz zu dem heutigen Berlin nach der Maueröffnung, welches nun als expandierendes „kulturelles Drehkreuz“ zwischen West- und Osteuropa tituliert und propagiert wird.
Solch programmatische Einschätzungen – und Images – beruhen auch mit auf den wirtschaftlichen, städtebaulichen und architektonischen Gegebenheiten eines Ortes, wie einer bestimmten Eigentumsstruktur, fehlender oder neu-aufgefundener Standortvorteile, auf „heterogener Offenheit“ der Menschen bei Nutzungs- und Gestaltungsfragen und einer flexiblen Handhabung von Traditionen. Es gibt „schnelle“ und verlangsamende, „zähe“ Stadtgesellschaften und Ortsstrukturen, die erkannt sein wollen. Bestimmte Verfahrensweisen, politische und ökologische Haltungen und Eigentumsverhältnisse bewirken eine Entschleunigung beim Wandel von Strukturen. Man kann mit ihnen Zeitabläufe für die Zukunft vorwegplanen und die Prozesse damit vorbestimmen: z.B. „Kleinteiligkeit ist nicht nur eine architektonische Eigenschaft, sondern hat auch etwas zu tun mit dem Verbrauch von Zeit bei möglichen Veränderungsprozessen: sie bewirkt Langsamkeit (…).“, betont Hans Stimmann4 und verweist auf die impliziten Eigenschaft von Eigentumsvielfalt und gestreutem persönlichem Besitztum. Überdauernde Strukturen wie kleine private Parzellen behalten oft jahrhundertelang ihre Grundanordnung, auch wenn die Besitzer wechseln. Sie verhindern bzw. verzögern grossflächige funktionale und bauliche Veränderungen, und Parzellen-Zusammenlegungen erfolgen seltener. Öffentliche Räume und Wege bleiben jahrhundertelang erhalten, so wie bei unzähligen Strassenverläufen von einigen vormals antiken Städten, die sich nur wenig veränderten seit der Römerzeit.
Die verfügbare Zeit wie auch das Potenzial von zukünftigen Zeitverläufen sind zwei Randbedingungen, die lösungs- und entwurfsrelevant sind. Städtebauliche Entwicklungen dauern oft recht lange bzw. Massnahmen wirken sich erst in späteren Zeiträumen aus. Sie können anhand von gebauten „Indizien“ erfasst und an ihren Folgeerscheinungen eingeschätzt und benannt werden. Die Auswirkungen und Charakteristika von „Zeit“ sind wichtige Aspekte bei der Beschreibung eines Ortscharakters, seiner Atmosphäre und Planungsbedingungen.
4: zitiert aus: Denk, Andreas: Mitten im Werktag. Mit Hans Stimmann sprach Andreas Denk; in: der architekt Nr. 2 / 2017, S. 63