3.1.1 Stadtgebrauch und Stadtgestalt

Die persönlich-wahrgenommene Stadt setzt sich zusammen aus erlebten Alltagsbildern ‒ täglich immer wieder neu oder in den altbekannten Bahnen: der Weg zum Bäcker ‒ zur Arbeit, zum Spielplatz und zum Bankautomat an der übernächsten Ecke. Die vielen einzelnen Aktivitäten der Stadtbewohner überlagern und addieren sich zu Funktionsfeldern, Bewegungsabläufen und Verkehrsströmen. Sie verdichten sich von persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen zu generellen Vorstellungsbildern von der Stadt: In Lübeck zum Beispiel die Altstadt mit den erhaltenen Hafenanlagen und Oldtimer-Schiffen, die Breite Straße als kommerzielle Fussgängerzone oder der Lindenplatz mit tagtäglichem Stau.

Dieser Gebrauch der Stadt ereignet sich in allen Freiräumen und Häusern; er ist dadurch verbunden mit bestimmten architektonischen Bildern dieser Stadt und der Gestaltung ihrer öffentlichen Räume. Die uns so überkommene Gestalt der Stadt ist Folge und Ausdruck von Nutzungsprozessen und ständiger Umgestaltung auf allen Masstabsebenen: Die Treppengiebel [auch genannt: Staffel - oder Stufengiebel]-Fassaden in Lübeck (Deutschland) stehen für die historischen hansischen Kaufmannshäuser und den Handel der Hanse, die kleinen traufständigen Gebäude für die mehr schlichten Handwerker- und Wohnquartiere mit Werkstätten, Brauereien und Kneipen Gasthäuser der Vergangenheit, und die Geschäftshäuser der Nachkriegszeit in der Breiten Strasse für die Einkaufscity und „Shopping“-Aktivitäten der Jetztzeit. Der Trave-Fluss mit seinen alten Hafenanlagen und die umgebenden Gewässer zeigen die landschaftliche Einbettung der Stadt mit ihr dem maritimen Charakter der Küste, und die innerstädtischen überlasteten Verkehrsflächen verweisen auf Altstadt-Attraktivität und -Ärgernisse.

Darüber hinaus müssen die (fachlichen) Fragen an die funktionale Stadtrealität – und die Arbeitsziele und Wertmasstäbe des Stadtbetrachters – formuliert, erkannt und festgehalten werden. Dann kann untersucht werden: die landschaftliche Lage, die Orientierung der Strassen und Plätze, die Prägnanz der öffentlichen Gebäude, die Arten der üblichen Bebauung, die Parks, ein kleiner malerischer Brunnen und vieles mehr. Das Wesentliche, Besondere der einen Situation gegen die Alltäglichkeit der anderen kann auf diese Weise herausgearbeitet werden. Kriterien für den untersuchten Ort bilden sich heraus, ein Überblick entsteht. Offene oder verdeckte Bewertungen und Fehleindrücke werden bewusst. Damit ist (im besten Falle) die örtliche Situation erfasst, der eigenständige Stadt-Charakter begriffen. Was letztlich erkannt worden ist und zählt als Quintessenz, ist der wahrhaftige Eindruck von der Einmaligkeit der jeweiligen Stadtsituation und der Lebendigkeit des Stadtlebens, wie er sich in der Stadtgestalt manifestiert.

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