5.12 Exkurs 12: Typologie-Begriff (KoFo-4)

ÜBER GENERALISIERENDE BETRACHTUNGEN DER BAULICHEN UMWELT.

Gedanken zum Typus und Topologien.

Der folgende Text erläutert nur einige Aspekte und Fragen zur Methodik bzw. zu dem theoretischen Hintergrund des Typen-Begriffs, den eine lange, wechselvolle Geschichte kennzeichnet 1 . Angestrebt ist damit keine wissenschaftstheoretische Erörterung als vielmehr ein kurzer Einblick in bestimmte Fragestellungen, die bei der Verwendung dieses Beschreibungswerkzeugs für die Analysetätigkeit zu bedenken sind. Vor diesem Hintergrund kann mit eigenen, aufgabenbezogenen Überlegungen weitergedacht werden.

Ein wesentlicher Teil von Analysen zur Entstehung und dem Wandel städtischer Siedlungs- und Baustrukturen besteht in der Untersuchung und Nachvollzug der städtebaulichen Entwicklungsgeschichte und in der bauhistorischen Erforschung einzelner Häuser. Dazu wird historisches Karten- und Abbildungsmaterial herangezogen, werden Schriften nach Aussagen durchsucht und Situationen vor Ort begutachtet. Passend zur Fragestellung werden die aufgefundenen Informationen festgehalten, geordnet und zusammengestellt. Eine Untersuchung kann auf unterschiedlichen Ebenen und mit differenzierter Aussageschärfe – je nach Arbeitsziel – durchgeführt werden. Da es im Allgemeinen nicht möglich ist, ein vollständiges Hausinventar einer Stadt zu erstellen, werden mit Hilfe einer Typologie – dh. einer vereinfachenden Schematisierung bzw. Typisierung und Ordnung der Erscheinungsformen der vorhandenen und / oder dokumentierten, verschwundenen Häuser – die charakteristischen und gemeinsamen Merkmale der örtlichen Hauslandschaft erfasst. Da Architektur mittels baulichen Merkmalsammlung nicht als ausschiesslich räumliche, stilistischen und baulichen Erscheinungsform ausreichend tu erfassen ist 2 , werden die funktionale und soziale Nutzung und Bedeutung des Hauses und dessen geschichtlicher Wandel mitbetrachtet. Dementsprechend setzt sich das Merkmalsystem einer Haustypologie zusammen aus kulturellen, nutzungsgeprägten und atmosphärischen, d.h. aus Gebrauchsthemen und aus baulich-räumlichen Themen; allerdings ist die Bearbeitungsbreite der jeweiligen Themen oft unterschiedlich.

Das, was sich hier knapp erläutert wird – Inhalte und Potentiale einer Typologie – hat seine wissenschaftliche Begriffsgeschichte. In den nicht-exakten Wissenschaften und viel in der Biologie, vor allem in den Sozialwissenschaften, wird mit Spezien, Gattungen3, Typen und Typologien gearbeitet. Ein Grund liegt darin, dass diese Fachgebiete (wie die Architektur) es mit unzähligen individuellen, „realen Dingen und Geschehnissen“ zu tun haben, die eine endlose Bandbreite an unterschiedlichen Merkmalsvarianten, Individualisierungen und Verhaltensweisen aufweisen4. „Der Typenbegriff wird dann aus der anschaulichen Vertrautheit mit dem Gegenstandsbereich heraus intuitiv gebildet und verstanden.“ (Beispiel: >der Renaissancemensch<)5. Die Einzelfall-Betrachtung ist zwar oft Grundlage (und das „real“ einzige Untersuchungsobjekt) für Erkenntnisse über das betrachtete Phänomen oder Objekt, aber meist sind allgemeinere und / oder generell geltende Erfahrungen und Aussagen – zumindest bei bestimmten Randbedingungen – das Ziel von Untersuchungen und Forschungsprojekten6 etc. (sofern man sich nicht mit Statistiken zufrieden geben will) – und auch bei architektonischen und planerischen Lösungen.

In den nicht-exakten Wissenschaften hat man unterschiedliche Erklärungen formuliert, was unter einem Typus verstanden werden kann. Da sie nicht gänzlich übereinstimmen, gilt es sie auseinanderzuhalten und ihre Bedeutungsfacetten zu unterscheiden:

  • ein aufgefundener Gegenstand gilt als „Ur-Objekt“; dieses Objekt dient als materielles, zum Vergleich heranziehbares Referenzobjekt für ein hierauf fussendes, definiertes Ordnungssystem. (z.B. eine „beliebige“ Eiche7 ohne auffällige Abweichungen).
  • eine idealistische Darstellung eines Gegenstandes; dieses Objekt existiert nicht real, sondern es wird ein Ideal postuliert, ähnlich wie „eine generelle Idee von etwas“ haben; der reale Gegenstand erreicht diesen Idealzustand nie. (z.B. wie „die Eiche schlechthin“ auszusehen habe oder aussähe).
  • ein empirisch-erfasstes Konstrukt; dieses Konstrukt existiert nicht real, sondern es werden variierende Merkmale (z.B. vieler „individueller“ Eichen) statistisch zusammengefasst, um bestimmte Erscheinungsformen eines Sachverhaltes „allgemein“ darzustellen. (z.B. alle oder die wesentlichen Merkmale einer Eiche werden in einem charakteristischen, durchschnittlichen „Eichen-Set“ zusammengefasst).
  • eine idealtypische Beschreibung von etwas; dieser „Gegenstand“ existiert nicht real, sondern es werden „erkannte“8 Gegebenheiten heraus- und zusammengestellt bzw. rational (re-) konstruiert, um bestimmte Handlungen, Sachverhalte, Institutionen oder Phänomene gedanklich darzustellen. (z.B. die „symbolische Sinnhaftigkeit“ des Baumes Eiche für menschliche Qualitäten wie Festigkeit, Treue, Standhaftigkeit und Dauer9).

Wesentlich ist für alle Verständnisformen, dass der Typus als solcher nie real existiert, sondern eine Art Denkmodell, Stellvertreter, Zielmodell und Entität ist, die mehr oder weniger exakt über Entstehung, Merkmale, deren Formen und Bezüge, deren Bedingungen und Zwecke etc. definiert wird oder „realitätsnah“ vermittelbar ist. Es ist aber dabei zu beachten, dass häufig diese Merkmals-Bündelungen nicht explizit erläutert werden (können) und Unschärfen beim Gebrauch der Typologie und der Typen auftreten (können)10.

In der Architektur gibt es ebenfalls die Postulierung und Aufstellung von Typen und Typologien, wobei diese manchmal auch recht einfache Inhalte11 wiedergeben (z.B. den Typ des Bahnhofsgebäudes, des Bürobaus etc.12 , der Typus der „Industriestadt“ versus einer „Universitätsstadt“ etc.), dh. es sind eher sprachliche (Beschreibungs- und Benennungs-) Formeln für bestimmte Nutzungen und Funktionen als prinzipielle, architektonisch-räumliche Gebilde. Neben der definitorischen Abgrenzung und Scheidung von Typen voneinander bei vielschichtigen Themen (z.B. Platzraum-Typen) und den oben genannten Begriffsbedeutungen, ist eine andere Schwierigkeit die Versinnbildlichung (dh. Darstellung oder Wiedergabe) eines „Typus“ in Abbildungen. Bildliche Darstellungen sind in der Architektur ein gängiges Mittel zur Verständigung. Dabei kann aus der Art der Abbildung jedoch in der Regel nicht immer herausgelesen werden, ob es als eine bildliche Wiedergabe eines Sachverhaltes (Abbild13 ) gemeint ist oder eine vermittelnde, sprachlich-ikonische Darstellung eines Gedankens. Im Falle einer verbildlichten Darstellung einer Typologie kann dies leicht zur Verwechslung führen zwischen dem vermeintlichen Abbild eines wirklichen Gegenstandes und der eigentlich gemeinten „abstrakt-ikonographischen“ Darstellung eines idealtypischen (Gedanken-) Konstrukts14 . Ein weiteres Problem ist, dass vom „allgemeinen“, dh. generalisierten Typus nicht (deduktiv) auf den „wirklichen“ Einzelfall geschlossen werden kann (und darf) – weil der Typus, wie wir festgestellt haben, „nur ein Gedankenmodell“ wiedergibt.

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Gleichwohl werden diese Terminologie, Typenbegriffe mitsamt Abbildungen in Architektur und Städtebau gern verwendet, weil sie eine unschätzbar praktikable Zugangs- und Beschreibungsweise anbieten, komplexe und umfangreiche (einzelfall-bezogene) individuelle Sachverhalte einfacher, allgemeiner, generalisiert und übersichtlicher wiederzugeben. Ein weiterer Aspekt ist die Verbindung und Möglichkeit der Operationalisierung, indem einzelne Typen untereinander eine sinnfällige (Zu-) Ordnung erhalten können und zeitlich-epochale Inhalte und Wandlungsprozesse quasi als historische „Reihen“ dargestellt werden können. Dadurch erhält (und hat) der Typus etwas Prozessuales, welches eine missbräuchliche „reale“ Vergegenständlichung (in 1 : 1) erschwert und gleichzeitig quasi über eine „Entwicklungsreihe“ eine innewohnende Zeitdimension und -abhängigkeit impliziert. „(...) Der Gebäudetypus [ist] nichts anderes als das ‘Konzept des Gebäudes’, welches in einer bestimmten Kultur und in einem historischen Moment entsteht, bestimmt durch vorangegangene [Konzepte] und selbst wieder Matrix kommender Gebäudekonzepte [wird]”15 . Das (An-) Leitende, Überliefernde und Überlieferte – man könnte sagen: das sozialräumliche Regelwerk für „Raum+Gebrauch“ – wird in diesem Zitat hervorgehoben und eine zeit-ungebundene Regelbildung imaginiert; die Übernahme oder Kritik dieser Annahme kann sich auf das zu erzielende Analyseergebnis auswirken…

Klaus Brendle


1: Kemp, Wolfgang: Architektur analysieren. Eine Einführung in acht Kapiteln; München 2009; siehe hierzu das 7. Kapitel „Der architektonische Typus“, S. 315ff

2:Diese ist allerdings – neben der baugeschichtlichen Dimension – einer der wesentlichen Inhalte des Typusbegriffes.

3:Der Gattungsbegriff ist allerdings – im Vergleich mit Typus – exakt und präzise, z.B. in der Biologie.

4:Hier als Beispiel genommen: der einzelne, individuell-gewachsene (mitteleuropäische) Eichenbaum, betrachtet im Verhältnis zu dem (gesamten) Eichenwald (mit einer Vielzahl „ungleicher“, anders gewachsener individueller Eichen). – Es geht bei diesem vereinfachten Beispiel nicht um die div. „Eichen-Unterarten“, die es gibt: dt. Eiche, Stieleiche, Steineiche, Roteiche, Korkeiche etc..

5:Mittelstraß, Jürgen (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie; Bd. 4; Stuttgart – Weimar 1996; S. 363 „Typus“ [Hervorhebung durch den Autor]

6:über das, was z.B. allen Eichen gemeinsam ist: also die Eiche „schlechthin“ – dh. die „allgemeine, generelle Eiche“.

7: Wir bleiben beim Beispiel der Eiche.

8:im Sinne von Erkenntnis

9:In Deutschland früher auch Symbol für den deutschen Nationalstaat. Zeitgleich wurde die Eiche in Deutschland zu einem Symbol des Heldentums

10:Auch wird man nie einen „Abgleich“ mit allen existierenden Eichen-Individuen durchführen können, weswegen „Unsicherheiten“ dem Begriff ebenfalls innewohnen. Es kann immer wieder Neuentdeckungen geben…

11:ausser, wenn die Themenbreite deutlich über das Bauliche hinaus erweitert wird.

12:Heisel, Joachim P.: Planungsatlas. Praxishandbuch Bauentwurf; 4. überarbeitete und erweiterte Auflage; Berlin – Wien – Zürich 2016

13:Es wird hier unzulässigerweise vernachlässigt, dass selbst die (scheinbare) Wiedergabe mittels eines „Abbildes“ nicht unproblematisch ist; z.B. durch die Perspektivwahl, das verwendete Medium, die Darstellungsqualitäten etc. bei der Abbildung eines Gebäudes. Sie gibt das Gezeigte anders wieder als z.B. eine Vor-Ort-Erfahrung.

14:Ein beliebtes, irritierendes Beispiel sind die unterschiedlichsten Abbildungen der sogenannten „Urhütte“.

15: Caniggia, Gianfranco: Der typologische Prozeß in Forschung und Entwurf; zitiert nach: arch+ Nr. 85 / 1986, S. 43ff; (St. 09.02.2018) [Hervorhebung durch den Autor] http://www.archplus.net/home/archiv/ausgabe/46,85,1,0.html

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