Die Auflistung in 3.4.2.2.1 enthält viele das Visuelle betonende, geometrisch-ordnende Auswirkungen und zielt auf eine raumgestalterische Interpretation städtischer Wirklichkeit. Die vielfältigen „Hintergründe“ und möglichen – und die nicht planungsorientierten – Ursachen und Auslöser bleiben dabei unbekannt und werden nicht untersucht und geklärt. Viele Ordnungsparameter werden jedoch hervorgerufen, bestimmt oder entstehen durch:
- gesellschaftliche und technische Regulationsweisen, wie Gesetze und Vorschriften, technische Regeln (wie Strassen- / Schienen-Gradienten, Gefällevorgaben, Sicherheitsabstände, Baudichte-Bestimmungen etc.), kulturelle Regeln, durch Vereinfachungsstreben, Eigentumsregeln, soziale Lebensmodelle etc. und durch
- physikalische und natürliche Gegebenheiten, wie Erdbeben, Stadtklima, Hauptwind- und Besonnungsrichtung, Wasserfliessrichtung, Überschwemmungsgebiete, Lawinenschneisen, Wasserläufe, div. materielle und geographische Eigenschaften etc.
Die dadurch entstehenden grossflächig-auftretenden, natur- und technisch-bedingten regelnden Einflüsse und Einwirkungen sind auch in kleineren Masstabsebenen aufzufinden. Es sind im weitesten Sinne – hinzunehmende oder zu bewältigende und gestaltende – Auswirkungen und Faktoren, die ordnungsauslösende Kräfte und Folgen beinhalten. Ihre jeweilige sichtbare Ausformung ist häufig den abstrakt-geometrischen Faktoren ähnlich, ihre Themen und Benennungen verweisen aber zugleich auf Auslöser und Ursachen dieser Ordnungsfaktoren. So sind z.B. bei der Stadtbildplanung ein „Brennpunkt“ innerhalb eines sozialräumlichen „Bereichs“33 ‒ oder eine Warft34 in der Küstenlandschaft der Nordsee ‒ beide räumlich betrachtet ebenfalls als „punktuell ordnungsprägend“ einzustufen. Die folgende Reihe von Themenkreisen und Beispielen erfasst einige ordnungsprägende Faktoren samt ihren Erscheinungsformen:
- psychosoziale und sozialräumliche Ordnungsfaktoren von Stadtgebieten, wie sie K. Lynch bei seinen Stadtbild-Forschungen benannte: „Bereich, Grenze, Weg, Brennpunkt, Merkzeichen“ [Begriffe nach Kevin Lynch (1968); siehe S. 60ff].
- bestimmte (regional-, sozial-, produktions-, verkehrsbedingte) räumliche Sonderkonstellationen, wie z.B. Rundlingsdorf im Wendland / Deutschland, traditionelle arabische oder indianische Siedlungsformen; wirtschaftliche Produktionsbedingungen der Landwirtschaft und Industrie, die „sozialistische Bandstadt“35, spezifische geplante Kommune- und Gemeinschaftsstätten wie „Arcosanti“ (ab 1970; Architekt Paolo Soleri) in Texas / USA, „Auroville“ / Indien (ab 1968; Architekt Roger Anger); anfänglich auch die genossenschaftliche Gartenstadt-Idee (1898, Ebenezer Howard36) mit einem hierarchischen Stadt-Ordnungsmodell oder in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Guise / Frankreich die realisierte, klar geordnete Produktions- und Wohneinheit „Familistère“ von Jean-Baptiste André Godin.
- die geographisch- und technisch-bedingten Ordnungsformen, wie Siedlungen in natürlichen Höhlen (z.B. in Südamerika, in der Türkei), „Trulli-Ortschaften“ in Apulien / Italien und Süd-Frankreich; Siedlungen und Stadtgebiete auf dem Wasser (z.B. Pfahldörfer, in Bangkok / Thailand und natürlich in Venedig); aufgrund von Feld-Bewässerungsanlagen (Kreise, Kanalsysteme); Reisterrassen, Weinberge; Hochwasserschutzanlagen, Deichanlagen, Warften, Landgewinnung in Holland (Polder); militärische Verteidigungsanlagen etc..
- die städtebaulichen und baurechtlichen Ordnungsfaktoren für die Architektur wie Baulinien, Parzellierungsregeln, zur Gebäudestellung untereinander und zur Strasse, Trauflinien, Höhenentwicklung (Geschosszahl), Bau- und Nutzungsarten, aber auch Vegetationsbedingungen etc., die sich u.a. mittels der zuvor genannten „abstrakt-visuellen“ Ordnungsfaktoren auf den verschiedenen Planungsebenen ausdrücken. Das Baurecht als „rechtliche Formgebung“ kreiert viele visuell-wirksame Ordnungsfaktoren in Verordnungen, Baugesetzen und in der Bauleitplanung. Primär in einem allgemein-ordnenden Sinne gedacht, enthalten diese Bauregeln auch zu entdeckende Kreativitätspotentiale37.
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33: Beides sind Begriffe der Untersuchungsmethodik nach K. Lynch (1968)
34: Eine Warft ist eine kleine künstliche Erhebung im Küstengebiet, um die darauf stehenden Häuser vor dem Hochwasser zu schützen; das Wort ist nur in Norddeutschland geläufig.
35: siehe N. A. Miljutin (1992)
36: siehe „Gartenstadt“-Bewegung und im anhängenden Literaturverzeichnis
37: Wieviel “Kreativitätspotential” von “einengenden Bauregulierungen“ freigesetzt werden und in letzteren enthalten sein kann, wird ausführlich ausgelotet in einer speziell diesem Thema gewidmeten Ausgabe der Zeitschrift ARCH+, in: Brandlhuber, Arno / Hönig, Tobias: Legislating Architecture – Gesetze gestalten!; arch+ features Nr. 50 / Arch+ Nr. 225; Mai 2016 (englisch) / Oktober 2016 (deutsch)