- „nicht-tektonisch“ verwendet. Das funktioniert nicht richtig, weil eine solche (gemauerte) Ecke immer lastaufnehmend wirkt; und die weisse Eckstütze ist zu massiv ausgebildet, um eine klassische Übereck-Fensterwirkung zu erzeugen.
- nach einer gewissen Gestaltungs- und Verteilungsregel? Welcher?:
- Zufallsverteilung der Eckstützen: über die Gesammtfassade mit wechselten Längen (ein- oder zweigeschossig)? = dafür sind 3 Geschosse zu wenig.
- Oder sind die beiden Eckausbildungen im Zusammenhang mit der nach hinten in die Tiefe laufenden langen Fassade (und der übrigen, nicht einsehbaren Fassaden) zu sehen, wo das weisse (Stützen-?) Feld bei der Fensterverteilung noch öfter verwendet wird? Das kann allerdings nicht mittels des möglichen Sichtwinkels gesehen werden!2
Im Ergebnis gibt es vor Ort besehen keine klare Antwort, welcher Gestaltungs- / Kompositiongedanke bei diesen Eckausbildungen (an-)leitend war. Nur: dass es eine gestalterische Massnahme sein soll.
Weitere Interpretationsversuche sind möglich …
„Exkurs im Exkurs“:
Zu anderen Zeiten war man sich – und mancher noch heute – selbstgewiss und wusste sich generell auf der „richtigen“ Seite bei Gestaltungsthemen. Der renommierte Architekt Friedrich Krämer schrieb in einem Wettbewerb 1948 über seinen Fassadenvorschlag für die Braunschweiger Altstadt „RICHTIG“; über eine fiktiv-traditionelle Fassaden-Abwicklung: „FALSCH“; siehe BAM KoFo-2, Abschnitt 2.3., Abb. aus: ‚Wettbewerb „Alte Waage“ in Braunschweig‘ – Beitrag von Friedrich Krämer (1. Preis); in: Baumeister Heft 57 Mai / Juni / Juli 1948, S. 214f
Abbildungsquelle siehe Fussnote 3
Zum vorläufigen Abschluss
... dieser kleinen „Handreichungen“ ein Zitat von Vilém Flusser (1920 – 1991): „Dinge so anzusehen, als sähe man sie zum erstenmal, ist eine Methode, um an ihnen bisher unbeachtete Aspekte zu entdecken. Es ist eine gewaltige und fruchtbare Methode, aber sie erfordert strenge Disziplin und kann darum leicht mißlingen. Die Disziplin besteht im Grunde in einem Vergessen, einem Ausklammern der Gewöhnung an das gesehene Ding, also aller Erfahrung und Kenntnis von dem Ding. Dies ist schwierig, weil es bekanntlich leichter ist zu lernen als zu vergessen. Aber selbst wenn diese Methode des absichtlichen Vergessens nicht gelingen sollte, so bringt ihre Anwendung doch Überraschendes zutage, und zwar tut sie das eben dank unserer Unfähigkeit, sie diszipliniert anzuwenden. (…)“4
Klaus Brendle (notiert 21.10.2017)
1: siehe hierzu auch EXKURS 7 „Architekturqualitäten“
2: allerdings – und nur! – auf der Fassaden-Aufrisszeichnung dieser Gebäude-Gesamt-Fassadenabwicklung (dh. nur gezeichnet im Büro der Architekten…)
3 Frick, Otto: Gestaltungslehre. Leitfaden für den Unterricht an Baugewerkeschulen und verwandten technischen Lehranstalten. Erster Teil: Die Gestaltung freistehender Landhausbauten. Mit 109 Abbildungen im Text; Leipzig und Berlin 1911, S. 2f Abb. 1 und Abb. 2 [Seiten-Ausschnitte; Hervorhebungen durch Autor; beide Abb. aus: Schultze-Naumburg, Paul: Kulturarbeiten; Bd. III: Dörfer und Kolonien; München 1908, o. Seitenangabe]
4 aus: Flusser, Vilém: Dinge und Undinge. Phänomenologische Skizzen; München / Wien 1993, S. 53 [Fett-Hervorhebung durch den Autor]